lfq-Positionierung zur Initiative Queer Nations (30.04.2006)
Mit der nachfolgenden Erklärung kritisiert das lesbisch-feministisch-queere Netzwerk
(kurz: lfq), ein Netzwerk von derzeit über 60 Wissenschaftlerinnen vorwiegend aus dem
deutschsprachigen Raum, die patriotisch-nationalistischen und integrationspolitischen
Prämissen der Initiative Queer Nations und fordert die Initiative zu einem kritischen
Dialog auf.
Das lfq-Netzwerk begrüßt und unterstützt die Idee, das Magnus-Hirschfeld-Institut
gleichsam neu zu gründen und damit an eine Tradition teils kritischer Sexualwissenschaft
anzuknüpfen, die diese mit dem Anspruch gesellschaftlicher Veränderung verbindet.
Diesbezüglich müsste ein Teil der Forschungsarbeiten, die im Rahmen des neu zu gründenden
Instituts entstehen, sich kritisch mit den problematischen Aspekten der Arbeit des Instituts
für Sexualwissenschaft auseinandersetzen bzw. solchen, die im Institutsumfeld entstanden
sind und sich mit den Stichworten: Eugenik/Rassenhygiene, Menschenversuche,
kolonialistische Implikationen und Reproduktion sexistischer Geschlechterbilder umreißen
lassen. Vielversprechend klingt das Projekt, ein gut ausgestattetes Zentrum (Institut) der
Geschlechter- und Sexualitätenforschung, der lgbti-Bewegungen und der Queer Theory zu
schaffen, das WissenschaftlerInnen verschiedener disziplinärerer Herkünfte sowie
theoretischer (und politischer) Ausrichtungen die Möglichkeit gibt, ihre Forschung unter
ökonomisch und akademisch anerkennenden Bedingungen durchzuführen.
Wir bezweifeln jedoch angesichts der programmatischen Formulierungen in der Broschüre der
Initiative, dass tatsächlich solch ein breiter, demokratischer Rahmen geschaffen werden
soll. Um dies zu ermöglichen, müsste das Institut auch als ein Ort politischer Kontroversen
konzipiert sein, der darauf ausgerichtet ist, widerstreitende politische Analysen und
Perspektiven auszutragen und der Öffentlichkeit entsprechend zugänglich zu machen.
Dies scheint uns nicht möglich, wenn das Institut, so wie jetzt von der
„Initiative Queer Nations“ vorgeschlagen, a) unter patriotisch-nationalistischen
Vorzeichen auftritt, sich b) auf eine minderheitenpolitische Argumentation festlegt
und c) eine assimilatorische Perspektive der Normalisierung und Integration vertritt.
Vor dem Hintergrund feministischer Kritik an Macht- und Herrschaftsverhältnissen sowie
queerer Kritik an Identitätskonstruktionen und Integrationslogiken lehnen wir die drei
genannten Prämissen der IQN ab und distanzieren uns davon, unter diesen Vorzeichen
Wissenschaft zu betreiben. Warum denken wir, dass die Position von IQN weder mit
lesbisch-feministischen Perspektiven noch mit unserem Verständnis von Queer Theory
vereinbar ist? Viele queere und feministische Ansätze sind durch die Kritik an
Minderheitenpolitik gekennzeichnet. Statt Einschluss und Anerkennung von Minderheiten
zu fordern, trachten sie diejenigen Prozesse zu verändern, die hierarchische
Unterscheidungen von „Mehrheit“ und „Minderheit“, von unhinterfragter „Normalität“ und
„Abweichung“ produzieren. Dies heißt zum einen, die Verwendung von Identitätskategorien
zu problematisieren, weil damit unweigerlich Normen der Zugehörigkeit und Ausschlüsse
geschaffen werden. Zum anderen werden gesellschaftliche Werte, Normen und Institutionen
dahingehend untersucht, wie sie zur Reproduktion von Macht- und Herrschaftsverhältnissen
beitragen. Und schließlich geht es darum herauszufinden, wie die sozio-kulturelle
Organisation von Geschlecht und Sexualität dazu beiträgt, gesellschaftliche Hierarchien,
Dominanz- und Gewaltverhältnisse durchzusetzen und aufrecht zu erhalten – und wie
Sexualität und Geschlecht hierbei mit antisemitischen, rassistischen, kapitalistischen,
(post)kolonialistischen und nationalistischen Mechanismen der Differenzierung ineinander
greifen.
Insofern queere und feministische Theorie und Politik gesellschaftskritisch
ausgerichtet sind, widersprechen Forderungen nach Integration in die bestehenden
gesellschaftlichen Verhältnisse oder eine Anerkennung durch diejenigen Instanzen,
die soziale Dominanz, Unterordnung und Gewalt forcieren, dem kritisch-transformatorischen
Anliegen. Die Normalisierung geschlechtlicher und sexueller Lebensformen wäre als Anpassung
an, nicht als Kritik und Veränderung dieser Verhältnisse zu verstehen.
Das Ansinnen, in eine „deutsche Nationalgeschichte, auf die man stolz sein kann“
aufgenommen zu werden, knüpft an Diskurse an, die uns nicht geeignet erscheinen,
Verantwortung gegenüber der nationalsozialistischen deutschen Geschichte zu übernehmen.
Zwar ist es richtig herauszustellen, dass Lesben und Schwule vom NS-Regime in
unterschiedlicher Weise verfolgt wurden; ebenso wichtig ist es jedoch anzuerkennen,
dass sie zum Teil auch als MittäterInnen und TäterInnen den Nationalsozialismus gestützt
haben.
Darüber hinaus hat der Begriff der Nation, auch in seiner Verwendung als Queer Nation,
grundlegende Kritik erfahren, insofern er auf Dominanz, Ausschlüssen, Gewaltförmigkeit
gründet, in denen sich nicht nur binäre Geschlechterverhältnisse und suprematistische
Heteromaskulinität, sondern auch rassistische und (neo-)kolonialistische Diskurse
Bestätigung finden.
Darüber hinaus ist den lfq-lerinnen nicht klar, ob und in welcher Form
Wissenschaftlerinnen, die in diesem Feld forschen, in die Initiative eingebunden werden
sollen, da nicht einmal ein Bruchteil derer angesprochen worden ist, die hierfür
einschlägig bekannt sind oder sein müssten. Überdies stellen die horrenden
Vereinsmitgliedsbeiträge einen strukturellen Ausschluss von kleinen Projekten und
Vereinen dar und verhindern deren etwaige Partizipation an der Initiative als
stimmberechtigtes Vereinsmitglied.
Da das Ziel, einen solchen außeruniversitären Ort der Wissensproduktion zu schaffen,
grundsätzlich sehr zu begrüßen ist, fordern wir die Initiative Queer Nation vor dem
Hintergrund der angeführten Kritik zu einer Stellungnahme auf. Für eine Unterstützung der
Initiative durch das Netzwerk lesbisch-feministisch-queerer Forschung ist eine Veränderung
des Namens und eine Revision der (patriotisch-)nationalistischen Programmatik sowie der
integrationistischen Perspektive dringend erforderlich. Im Sinne einer lebendigen
politischen Kontroverse und angesichts der medialen Präsenz, die die Initiative für sich
beansprucht, haben wir uns entschieden, mit unserer Kritik ebenfalls an die
Öffentlichkeit zu gehen, sollte diese Revision nicht eintreten. Wir würden es begrüßen,
wenn unsere Kritik sowie eventuell daraus resultierende Debatten auf der website der
Initiative veröffentlicht würden.
30. April 2006
Andrea Bettels, M.A. (Berlin/Greifswald)
Susanne Bischoff (Bad Gandersheim)
Ingeborg Boxhammer, M.A. (Bonn)
Prof. Dr. Claudia Breger (Bloomington_USA)
Dr. Gabriele Dennert (Nürnberg/Berlin)
Dr. Antke Engel (Hamburg)
Dr. Waltraud Ernst (Hildesheim)
Dagmar Fink, M.A. (Wien_Österreich)
Dr. Natalia Gerodetti (Lausanne_Schweiz)
PD Dr. Hanna Hacker (Wien_Österreich)
PD Dr. Sabine Hark (Berlin)
Doris Hermanns (Utrecht/Amsterdam_Niederlande)
Jennifer Jäckel, M.A. (Freiburg)
Ulrike Janz (Bochum/Dortmund)
Dr. Claudia Jarzebowski (Berlin)
Anelis Kaiser (London_Großbritannien/Basel_Schweiz)
Elke Kasimir (Berlin)
Katja Koblitz, M.A. (Berlin)
Claudia Koltzenburg, M.A. (Hamburg)
Sonya Kraus, M.A. (Helsinki_Finnland/Berlin)
Dr. Marina Krug (Berlin)
Lena Laps (Bochum)
Dr. Christiane Leidinger (Berlin)
Renate Lorenz (Berlin)
Kerstin Mächler, M.A. (Dresden)
Dr. Madeleine Marti (Zürich_Schweiz)
Dr. Gabriele Mietke (Berlin)
Irene Mueller (Luzern_Schweiz)
Dr. Katharina Pewny (Hamburg/Wien_Österreich)
Heike Raab (Frankfurt)
Franziska Rauchut, M.A. (Berlin)
Dr. Heike Schader (Hamburg)
Dr. Anita Winter (Erlangen)
Dr. Gisela Wolf (Freiburg)